„Ja, ich habe alles gemacht, was Mütter so machen: ganz zu Hause bleiben, Teilzeit arbeiten, voll im Beruf sein. Aber immer alles mit schlechtem Gewissen. Wo ich auch war, ich hatte das Gefühl, etwas zu versäumen: zu Hause den Beruf – und im Beruf die Kinder. Diesen tiefen Konflikt und vor allem das schlechte Gewissen, das spüre ich bis heute.“
Mit diesem Zitat aus einem Interview in der Emma (hier geht es zum Interview) erwischte mich Ursula von der Leyen ganz direkt. Als ich den Artikel gestern las, konnte ich fast körperlich spüren, was sie meinte. Und aus vielen Gesprächen mit Working Moms weiß ich, dass ich nicht die einzige bin, der es so geht.
Egal, welche Entscheidungen wir treffen, ob wir als Stay at Home Mom für unsere Kinder zuhause präsent sind, ob wir in Teilzeit, in Vollzeit oder als Selbständige arbeiten – es lauert uns überall auf: das schlechte Gewissen. Dabei nicht genug, dass wir uns mit unseren eigenen inneren Konflikte auseinandersetzen müssen. Auch in der öffentlichen Debatte, der Politik, den Medien, wird mal lauter und mal leiser kommuniziert, wie das funktionieren soll mit der Vereinbarkeit für Familien. Oft über die Köpfe der Frauen und Familien hinweg.
Und leider sind auch Frauen untereinander manchmal nicht gerade zimperlich, wenn es um Urteile über die Lebensmodelle anderer Frauen und vor allem Mütter geht. Wer sich für Vollzeit mit Kind entscheidet, wird als karrieregeile Rabenmutter abgestempelt. Wer zuhause bleibt, wird von berufstätigen Müttern müde belächelt. Und wer Teilzeit arbeitet, verliert nicht nur Einkommen, sondern vor allem Anerkennung und inhaltlich anspruchsvolle Aufgaben. Egal welchen Weg wir einschlagen, irgendjemand hat etwas einzuwenden gegen das von uns gewählte Modell.
Ursula von der Leyen erzählt im Interview weiter, dass ihr Umzug in die USA in den 90er Jahren mit drei Kindern ihre „Rettung“ war. „Zum ersten Mal erlebte ich dort, dass Kinder kein Minus- sondern ein Pluspunkt sein können. Zum ersten Mal schlug mir nicht diese Wie-wollen-Sie-das-denn-schaffen-Grundhaltung entgegen, sondern mein Muttersein wurde positiv gesehen: drei Kinder? Toll! Sie müssen ja vielfältig belastbar und organisationsfähig sein. Zum ersten Mal schlug meine resignierte Wir-schaffen-das-alles-nicht-Haltung positiv um. Das hat uns Mut zu mehr Kindern gemacht.“
Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich mir vorstelle, wie sich Ursula von der Leyen gefühlt haben muss. Wenn die eigenen Werte und Wünsche plötzlich auf Rahmenbedingungen treffen, in denen sie gelebt und umgesetzt werden können. Wenn eine Bauchentscheidung plötzlich gesellschaftlich anerkannt und akzeptiert ist.
Was aber können wir tun, wenn wir mit unseren Werten und Wünschen nicht auf die passenden Rahmenbedingungen treffen? Wenn diese Fragen kommen („Wie, du arbeitest schon wieder? XY ist doch noch so klein!“ oder „Was, du bist immer noch zuhause? XY ist doch schon im Kindergarten!“). Und mit ihnen das schlechte Gewissen.
Wir können im ersten Schritt dafür sorgen, dass wir tatsächlich eine Entscheidung treffen, die für uns selbst gut ist. Und gut ist diesem Fall ausschließlich, was sich gut anfühlt. Erst wenn wir Klarheit darüber haben, was wir selbst wollen, wenn wir unser Bauchgefühl kennen, können wir Entscheidungen treffen, mit denen wir uns zu einhundert Prozet identifizieren. Und das Tolle an diesen Entscheidungen ist dann, dass sie absolut immun sind gegen das schlechte Gewissen.
Und wenn die Rahmenbedingungen dann nicht passen? Dann können wir uns mit unserer guten Entscheidung im Gepäck auf den Weg machen – auf die Trampelpfade der Vereinbarkeit. Denn abseits ausgetretener Pfade warten oft die allerschönsten Überraschungen auf uns.